Scheunenviertel
Landesarchiv Berlin
Stefan Wolski Berlin
Jüdisches Museum Berlin
Stefan Wolski Berlin
Sammlung Absinthdepot
Scherl / Süddeutsche Zeitung Photo
Das Scheunenviertel im heutigen Zentrum Berlins ist der Bereich nördlich der ehemaligen Stadtmauer (etwa der heutigen S-Bahn Trasse) zwischen dem Hackeschen Markt und der Gegend um den jetzigen Rosa-Luxemburg Platz. Den Namen hat es von den Scheunen, die auf Grund eines Gesetzes von 1672 nur außerhalb Berlins errichtet werden durften.
In den folgenden Jahren siedelten sich hier Landarbeiter an, 1773 wurden auch alle Juden Berlins ohne eigenen Hausbesitz in diese Gegend umgesiedelt. In der Zeit der industriellen Revolution siedelten sich im Norden Berlins zahlreiche Industriebetriebe an. Vor allem die Arbeiter der der nahen Borsigwerke siedelten sich im Scheunenviertel an, gleichzeitig war die Gegend aber auch der Anlaufpunkt für die meist völlig verarmten Ostjuden, die auf der Flucht vor den Pogromen in Russland ins relativ liberale Berlin kamen.
Im Viertel herrschte drangvolle Enge, Schlafplätze waren oft doppelt vermietet, Armut und Prostitution war allgegenwärtig. Bereits um 1900 verfolgte die Regierung mit Sorge die Entwicklung des Viertels. Es gab erste Planungen, Teile des Scheunenviertels abzureissen und die Gegend durch geeignete Baumaßnahmen aufzuwerten. So entstanden etwa 1914 am damaligen Bülowplatz das Gebäude der Volksbühne und Ende der 20er die Wohnbauten von Hans Poelzig mit dem heute noch existierenden Kino Babylon. Letztlich jedoch blieben all diese Maßnahmen Stückwerk. Sie scheiterten immer wieder am Geld, der erste Weltkrieg und die darauf folgenden Wirtschaftskrisen verschlimmerten die Situation im Viertel stattdessen immer mehr.
In diesem sozialen Brennpunkt blühten Kriminalität und Schattenwirtschaft. Zu den bereits vorhandenen Problemen kamen nach dem verlorenen Krieg noch die Inflation und ein gewaltiger Anstieg der Arbeitslosigkeit hinzu, Hunger, alltägliche Gewalt und politische Radikalisierung prägten das Klima. Im Viertel kam es zu ersten judenfeindlichen Ausschreitungen und zu Straßenschlachten zwischen den Nationalsozialisten und der KPD, die am Bülowplatz, dem heutigen Rosa-Luxemburg Platz ihre Zentrale hatte.Das Scheunenviertel entwickelte sich in den 20er Jahren mehr und mehr zum Synonym für den Moloch Berlin, ein Symbol für den Abgrund der Grossstadt schlechthin.
Allmählich begannen sich auch die ersten, meist sozial orientierten, Künstler für die Gegend zu interessieren. Die bekannteste und wohl auch treffenste Schilderung der Verhältnisse im Scheunenviertels und der angrenzenden Spandauer Vorstadt ist der Roman `Berlin Alexanderplatz´ von Alfred Döblin, welcher bereits 1931 mit Heinrich George in der Hauptrolle und 1980 noch einmal von Rainer Werner Fassbinder verfilmt wurde. Döblin praktizierte neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller als Armenarzt in Berlin und darf somit wohl durchaus als Kenner der Materie bezeichnet werden. Man kann davon ausgehen, dass die Zustände im Viertel wohl auch viele Werke Bert Brechts, der in den 20ern ebenfalls in Berlin lebte und arbeitete, massgeblich beeinflussten.
Im Gegensatz zu den damals angesagten Künstlervierteln Charlottenburgs war das Scheunenviertel immer der unheimliche und auch real gefährlichere Teil der Stadt, der aber zunehmend die Neugier der sich politisch meist links verstehenden Künstler weckte.
Im Scheunenviertel existierten auch damals schon es zahlreiche Kneipen, Distillen und die sogenannten `Ringvereine´, stadtbekannte Treffpunkte der organisierten Kriminalität. Allmählich mischten sich hier die ersten Künstler unter die Besucher. Stammgäste der Mulak-Ritze, einer der bekanntesten Unterweltkneipen der Gegend, waren beispielsweise neben Einbrechern und Tresorknackern gegen Ende der 20er auch Prominente wie Claire Waldoff, Gustaf Gründgens oder Marlene Dietrich.
1931 erschien in Leipzig schliesslich unter dem Namen `Führer durch das `lasterhafte Berlin´ ein Kompendium, welches die diversen Vergnügungsstätten Berlins beschreibt und für die Mutigen unter den Lesern auch Lokalitäten im Scheunenviertel nicht ausspart.
Wie nicht anders zu erwarten endete all das 1933. Das Scheunenviertel war vor der Machtergreifung für die Nationalsozialisten die Projektionsfläche für alles, was sie verachteten. Mit entsprechender Brutalität gingen sie in den folgenden Jahren gegen die Bewohner vor. Mit den Deportationen ab 1941 wurden alle Spuren des jüdischen Lebens im Viertel ausgelöscht.
Nach den Bombardierungen im Krieg verfielen die verbliebenen Gebäude zur DDR-Zeit weiter, vieles wurde später abgerissen. Eine Ausnahme ist die Einrichtung der legendären Mulak-Ritze, diese wurde vor dem Abriss gerettet und kann heute im Gründerzeitmuseum von Charlotte von Mahlsdorf besichtigt werden.
Trotz alledem haftete der verbliebenen Trümmerlandschaft bis weit in die 60er immer noch der Ruf des Verruchten, von Verbrechen, Alkohol und Kokain an, einige Lokalitäten schafften es sogar, bis in die 80er hinein zu überleben.
Nach dem Mauerfall 1989 lag das Scheunenviertel plötzlich wieder im Zentrum des Geschehens. Musiker, Künstler und Hausbesetzer nutzten die nun quasi rechtsfreien Räume, um Neues auszuprobieren.
In den Ruinen und Kellern der Ruinen entstanden die ersten illegalen, heute bereits legendären Clubs Berlins. Über zehn Jahre war die Gegend geprägt von Techno, Kunst und Ecstasy, die Schauplätze des Geschehens wechselten in geradezu atemberaubenden Tempo. Noch heute lebt Berlins Tourismusindustrie zu großen Teilen vom legendären Ruf dieser Zeit.
Nach der Jahrtausendwende setzte dann aber auch hier die Gentrifizierung ein, die meisten Klubs und Bars wurden vertrieben, statt der Künstler kamen die Galerien, die nun weitgehend sinnentleerte Bezeichnung `Scheunenviertel´ hilft nun allenfalls noch den Maklern und Hausbesitzern, die bewegte Geschichte des Viertels in persönlichen Profit zu verwandeln.